Das Dialoggespräch mit Florian Wahl MdL (SPD)
Florian Wahl ist Sprecher für Gesundheit und Pflege der SPD und zudem Vorsitzender des Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Integration des Landtags von Baden-Württemberg. Im Dialoggespräch erklärte der SPD-Politiker nicht nur wie er zur allgemeinen Impfpflicht steht und ob er für eine Corona-Sonderprämie für ZFAs wäre, sondern bezieht zudem Stellung zur Integration des Landesgesundheitsministeriums in das Sozialministerium.
Cornelia Schwarz: Herr Wahl, die Zahnärzteschaft im Land kennt Sie ja bereits als ehemaligen Leiter der Stabsstelle Kommunikation der KZV BW – doch nun würden wir gerne von Ihnen als gesundheitspolitischer Sprecher der SPD im Landtag von Baden-Württemberg wissen, wofür Sie in der Gesundheitspolitik stehen und welche expliziten Ziele Sie dort mit Ihrem Engagement verfolgen.
Florian Wahl: Dass ich eine gewisse Affinität zur Selbstverwaltung im Gesundheitswesen habe, ist ja hinlänglich bekannt. Übrigens ja nicht nur eine Affinität, sondern immerhin auch noch einen ruhenden Arbeitsvertrag (lacht). Was uns umtreibt, ist die Sicherstellung der Versorgung, und dies sowohl im Land als auch in der Fläche. Das gilt einerseits für den ambulanten, aber auch für den stationären Bereich. In der Landespolitik spielt der stationäre Bereich auch eine große Rolle, weil die Finanzierung zu einem beträchtlichen Anteil Landesaufgabe ist. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Investitionskosten zu tragen und erfüllt diese nur ungenügend, damit kommt es zu einer dauerhaften, chronischen Unterfinanzierung mit fatalen Folgen für die Beschäftigten und die Versorgung. Wir wollen, dass die Versorgung in der Fläche auch in Zukunft sichergestellt wird und zwar sowohl am Tag, wie auch in der Nacht und an den Wochenenden.
Aktuell ist die Hauptaufgabe für die Gesundheitspolitik im Land natürlich die Bewältigung der Corona-Pandemie und die Lehren, die man daraus ziehen kann. Hier sind wir mit dem Management der Landesregierung sehr, sehr unzufrieden. Das Handeln der Landesregierung mit den Verordnungen, die kurzfristig durchgepeitscht wurden und dann wieder korrigiert werden mussten, war nicht zufriedenstellend. Es fehlte an Klarheit und Konzept. Auch bezüglich des Impfens gab es seitens der Landesregierung sehr viele falsche Signale. Ich habe zu keinem Zeitpunkt verstanden, warum man zum 30. September 2021 landesweit die Impfzentren eingestampft hat, um am 15. Oktober zu merken, dass man sie wieder braucht. Also man musste ja kein Wahrsager sein, aber es war allen vor Ort Beteiligten klar, dass das nicht gut gehen kann. Diese Fehlentscheidungen und teilweises Missmanagement müssen aufgearbeitet werden.
Außerdem denke ich, dass wir uns auch die Vermessung zwischen dem stationären Bereich und dem ambulanten Bereich, sowohl im ärztlichen, wie auch im zahnärztlichen Bereich nach der Pandemie noch mal anschauen und auch ganz klar reflektieren müssen, was hat funktioniert, was hat nicht funktioniert. Ich habe das Gefühl, dass da teilweise von der Politik gegenüber der Selbstverwaltung mit falschen Erwartungen gearbeitet worden ist und teilweise der Buhmann von der Landesregierung sehr gerne weitergegeben wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zukunft ist für mich der Versorgungsauftrag. Was macht eigentlich das Land, wenn die Selbstverwaltung in bestimmten Punkten diesen Sicherstellungsauftrag nicht mehr erfüllt? Das ist eine Frage, die in den nächsten Jahren eine ganz wichtige Frage für uns werden kann. Aber bevor wir uns dieser Frage wieder widmen, müssen wir erst einmal die schlimmsten Brocken von Corona wegräumen.
Cornelia Schwarz: Sie hatten es eben schon angesprochen, dass Sie hinsichtlich der Coronaverordnung sehr unzufrieden mit der Landesregierung sind. Wo sehen Sie denn konkret das Hauptproblem hinsichtlich der gewünschten Verlässlichkeit und Planungssicherheit?
Florian Wahl: Ja, da brauchen wir uns ja gar nicht gegenseitig konfirmieren, weil wir wissen ja alle noch, wie wir Ostern 2020 miteinander verbracht haben. Das war natürlich der krasseste Moment und bei manchem muss man auch großzügig sein. Zu Beginn der Pandemie wusste man vieles nicht und manches wurde falsch entschieden, weil man es nicht besser wusste. Da muss man – was die ersten Wochen angeht – ein bisschen großzügig sein. Aber das Schlimme seither ist, dass manches innerhalb von zwei Jahren nicht viel besser geworden ist, z. B. fortlaufend Verordnungen, die um 22 Uhr veröffentlicht werden und ab 0 Uhr gelten. Und ich muss sagen, dass es mir bis zum heutigen Tag nicht einleuchtet, warum man dieses Verfahren nicht geändert hat. Es ist gegenüber allen Beteiligten kein guter Stil. Ich halte es für Managementprobleme, die sich kein Freiberufler leisten könnte.
Dr. Ute Maier: Das ist sicherlich richtig, dies erschwert natürlich auch die Umsetzung in der Selbstverwaltung. Man kann nicht kurzfristig etwas verabschieden und veröffentlichen und hinterher sagen, die Selbstverwaltung habe es nicht auf die Reihe gekriegt. Wobei sich das nicht nur auf Landesebene so verhält, sondern uns leider auch mit Gesetzgebungen von Bundesebene aus ebenso ergeht.
Florian Wahl: Dies ist auf jeden Fall auf Landesebene ein Riesenproblem und ich finde, dass man bis jetzt keine Lehre daraus gezogen hat. Es ist ja geplant, dass es eine Enquete-Kommission „Krisenfeste Gesellschaft“ geben soll. Diese soll sich mit den Lehren aus der Corona-Pandemie beschäftigen und die Gesellschaft in künftigen Krisen widerstandsfähiger machen. Die SPD-Fraktion hatte sich für eine kritische Rückbetrachtung des Corona-Managements eingesetzt, aber die Regierungsfraktionen haben sich einer umfassenden Aufarbeitung verweigert und möchten stattdessen lieber nach vorne blicken. Ich stehe der Enquete kritisch gegenüber, weil ich befürchte, dass es innerhalb einer zweijährigen Aufarbeitung vielleicht einen Tag für den Gesundheitsbereich geben wird. Der Themenkomplex Corona betrifft ja die gesamte Gesellschaft und erstreckt sich ja von den Schulen bis zu Altenheimen, von der Gastwirtschaft bis zur Automobilindustrie. Das alles in einer Kommission aufzuarbeiten, ist eine Überfrachtung. Ich finde, das müsste zielgerichteter für den Gesundheitsbereich organisiert werden. Aus meiner Sicht müsste das relativ zeitnah geschehen und dann auch intensiv mit den Partnern im Gesundheitswesen erörtert werden. Übrigens auch mit den gesetzlichen Krankenkassen, die während Corona, und das muss man auch mal ganz deutlich sagen, an vielen Stellen auch eine sehr, sehr positive Rolle gespielt haben. Da wurden viele Dinge pragmatisch gelöst.
Dr. Torsten Tomppert: Ich denke, die Problematik, ich spreche aber jetzt mal vom Bund und gehe zur großen Koalition zurück, war, dass versäumt wurde , einen richtigen Krisenstab einzurichten. Aus meiner Sicht hätte dieses Gremium viel breiter aufgestellt gehört. Zudem hätten dort natürlich Ökonomen hineingehört, dort hätte die Industrie hineingehört, Psychologen, Virologen und auch Epidemiologen. Das verstehe ich persönlich nicht, dass die letzte Bundesregierung dies nicht getan hat. In einem Diskurs an so einem großen runden Tisch erarbeitet sich die Politik die verschiedenen Aspekte und Handlungsoptionen. Und das war mir damals deutlich zu einseitig.
Florian Wahl: Da stimme ich Ihnen gerne zu. Ich halte den Ansatz, den die jetzige Bundesregierung wählt, für absolut richtig. Ich finde es einerseits gut, dass man für das Impfmanagement General Breuer gewinnen konnte, weil man jemanden braucht, der sich mit Logistik auskennt. In der alten Struktur wäre es nicht denkbar gewesen, dass man im Dezember 30 Millionen Impfungen hinbekommt. Ich fand den Ansatz von Minister Lucha immer richtig, dass er in die AG Corona die Leute von der Front mit reingeholt hat. Ich glaube aber, dass das Sozialministerium mit dem Management der Coronakrise logistisch überfordert war. Natürlich hatte das Sozialministerium mit der Bewältigung solcher Krisen bis dato noch nicht allzu viel zu tun. Doch ich glaube, da hat es einfach am Anfang Fehler gegeben, die nie in den Griff gekriegt wurden.
Cornelia Schwarz: 2021 sollte das Impfjahr werden – was wird das Jahr 2022?
Florian Wahl: Ich hoffe auf jeden Fall, dass 2022 auch ein Impfjahr wird, denn sonst haben wir alle am Ende des Sommers ein ziemliches Problem. Natürlich werden wir in gewisser Form lernen mit dem Virus zu leben, das tun wir ja jetzt alle schon Schritt für Schritt. Ich denke, es wird im Sommer wieder eine Entspannung geben und wir werden unser Leben umstellen wieder können, so dass wir künftig in den Sommermonaten viele Dinge tun können, die wir in den Wintermonaten so nicht tun können. Und im nächsten Winter wird dann wieder weniger möglich sein. Darauf werden wir uns einstellen müssen. Und wir müssen auch sehen, dass wir unsere Strukturen dementsprechend anpassen. Das heißt im Sommer sind zum Beispiel manche Veranstaltungen, manche Feste, manche Versammlungen möglich, die im Herbst und Winter eben nicht gehen. Da werden wir in diesem Jahr endlich anders planen müssen. Wir machen das Ganze jetzt zwei Jahre, kommen in das dritte. Wir können jetzt auch nicht mehr sagen, wir warten ab, bis die Pandemie vorbei ist, sondern müssen uns ein wenig anpassen. Das wird sicherlich im Fokus dieses Jahres stehen.
Cornelia Schwarz: Sie haben eben das Impfjahr auch für das Jahr 2022 ins Feld geführt. Doch wie stehen Sie denn zur allgemeinen Impfpflicht?
Florian Wahl: Also ich bin grundsätzlich jemand, der kein großer Freund von Impfpflichten ist, weil ich einen unerschütterlichen Optimismus in die rationalen Beweggründe der Menschen habe. Aber leider hilft allein der Optimismus nichts. Wenn wir im Herbst nicht noch einmal eine solche Situation wie 2020 und 2021 erleben wollen, brauchen wir eine Impfpflicht. Ich halte diese allgemeine Impfpflicht auch aus anderen Gründen für wichtig, damit wir keine krassen Abwanderungstendenzen aus dem Gesundheitsbereich haben. Diese Möglichkeit fiele mit der Impfpflicht weg und andererseits ist es auch einfach eine Frage der Solidarität.
Dr. Ute Maier: Das heißt Sie sind für die allgemeine Impfpflicht und alle sind im Boot und nicht nur die Beschäftigten im Gesundheitswesen? Denn genau diese selektive Verpflichtung führt zu den Abwanderungen aus bestimmten Berufszweigen. Hier müsste die Bundesregierung deutlich Kante zeigen.
Florian Wahl: Es ist eine große ethische Frage. Wir haben in Deutschland eine gute Kultur hinsichtlich Gewissensfragen bei ethisch-medizinischen Fragen. So verhält es sich auch bei Themen wie der Sterbehilfe, der Schwangerschaftsberatung, der pränatalen Diagnostik. Das Prinzip Regierung und Opposition hilft in solchen Fällen nicht weiter – das muss jede*r Abgeordnete nach dem eigenen Gewissen beantworten. Einfach weil das Thema Impfung sehr persönlich ist und mitunter den religiösen Bereich tangiert. Dennoch und ja, ich bin für eine allgemeine Impfpflicht und würde auch dafür stimmen.
Dr. Torsten Tomppert: Also ich halte die allgemeine Impfpflicht, Sie haben es ja schon gesagt, Herr Wahl, für einen sehr starken Eingriff. Ich bin auch der Meinung, dass wir die Menschen, die wir bislang nicht überzeugt haben, auch mit der Impfpflicht nicht kriegen werden, weil hier ganz viele ideologische, religiöse und auch weltanschauliche Ansätze dahinterstehen. Die Impfpflicht ist eine Gewissensentscheidung und deshalb legt die Bundesregierung bislang auch keinen Gesetzesentwurf zur Impfpflicht vor, weil, und das kann man auch gar niemandem vorwerfen, es eine so schwierige Thematik ist.
Florian Wahl: Das ist in der Tat schwierig, aber ich bin der Meinung, dass wir das als Gesellschaft und damit auch als Abgeordnete beantworten müssen. Ich glaube, eine Gesetzgebung zu diesem Thema hat einerseits eine Regelungsfunktion und andererseits eine normative Kraft. Das heißt, die Gesellschaft definiert, was wollen wir und was wollen wir nicht. Da ist es im Übrigen erst einmal noch nicht allein entscheidend, ob diese Regelung überall überprüft werden kann. Wenn wir rote Ampeln nach dem Prinzip aufstellen, ob jedes Mal überprüft wird, ob jemand bei Rot fährt oder nicht, dann müssten wir, glaube ich, 99 Prozent aller Ampeln abbauen. Trotzdem haben wir es zum Glück in unserer Gesellschaft mit Menschen zu tun, die in der Regel bei einer roten Ampel anhalten, weil sie wissen, dass man anhält, auch wenn da kein Blitzer oder keine Polizei in der Nähe steht. Und ich bin der Meinung, dass eine Impfpflicht natürlich auch so eine normative Kraft hätte. Das ist aber eine schwierige Debatte, mir fällt sie auch schwer und ich ringe auch damit.
Cornelia Schwarz: Gerade haben wir die impfende Zahnärzteschaft angesprochen. Aktuell sind die bürokratischen Vorgaben hier noch nicht genommen…
Florian Wahl: Ich persönlich hätte mich gefreut, wenn die Zahnärzte früher hätten impfen können. Allerdings muss man sagen, dass die bürokratischen Hürden, was das Impfen angeht, an vielen Stellen viel zu hoch waren. Das hört man aus der Ärzteschaft natürlich in vergleichbarer Form auch. Wir sind da hinterher, und bemühen uns, wo möglich, Hürden abzubauen. Gerne nehmen wir hier auch noch weitere Hinweise von Ihnen entgegen und gebe sie an die Landesregierung mit Nachdruck weiter. Daran darf es aus unserer Sicht auf keinen Fall scheitern.
Dr. Torsten Tomppert: Natürlich, und das muss ich ganz ehrlich sagen, ist der Zeitpunkt, die Zahnärzteschaft zum Impfen zuzulassen, etwas spät. Allerdings freut es mich, dass die Bereitschaft der Zahnärztinnen und Zahnärzte am Impfen teilzunehmen, noch so lange vital geblieben ist. Natürlich haben wir uns einen noch niederschwelligeren Zugang zum Impfen gewünscht. Die Ärztekammer und die KV Baden-Württemberg haben es in der AG Corona ja auch bereits gesagt, Zahnärzte können piksen. Und übrigens nicht nur das: Zahnärzte können auch Anamnese. Ich habe vorher mit der Geschäftsstelle der LZK telefoniert und dort fühlte man sich heute, ob der Bereitschaft der Zahnärzte zu impfen, niedergerannt. Ich finde das beeindruckend und ein ganz gutes Zeichen, dass auch dieser Berufsstand der Politik verziehen hat, dass er in der vergangenen Zeit von der Bundespolitik nicht ganz so behandelt wurde, wie er sich das gewünscht hätte und trotzdem bereit ist, der Bevölkerung zu helfen. Das läuft meines Erachtens auch unter dem Motto Gemeinwohlverpflichtung.
Dr. Ute Maier: Ja, zumal Praxen auch räumliche Voraussetzungen gewährleisten müssen. Als es in der ersten Abfrage im Winter 2020 um die Mitarbeit in den Impfzentren ging, waren es bereits um die 600 Praxem, die sich bereit erklärten. Nun ist es aber ein Unterschied, ob man im Impfzentrum oder in der eigenen Praxis impft. Von daher finde ich es klasse, wenn so viele Praxen bereit sind, dieses Angebot in ihren Alltag zu integrieren. Allerdings muss man sehen, wie es organisiert werden kann. Genialer wäre es natürlich, wenn die Arzneimittel auch als Einzelimpfdosen zur Verfügung stünden und nicht als Fläschchen mit 20 Impfdosen, die innerhalb eines Tages verimpft werden müssen sobald es offen ist.
Florian Wahl: An dieser Stelle auch mal ein herzlicher Dank, vor allem an die KZV und auch an die LZK, weil wir ja wissen und sehen, dass Sie als die Führungspersönlichkeiten immer an der Seite der Impfenden standen und das auch praktisch gefordert und pragmatisch unterstützt haben. Das ist natürlich ein ganz, ganz großer Wert und wenn die Stimmung und Bereitschaft innerhalb der Zahnärzteschaft, trotz manch schwieriger Situation in den letzten zwei Jahren, immer noch so hoch ist, dann ist dies natürlich auch Ihr Verdienst und dafür sind wir alle miteinander sehr dankbar, dass wir die Unterstützung der Selbstverwaltung an dieser Stelle haben. Also ich bin gerne bereit, meine nächste Boosterimpfung – wenn sie denn notwendig ist – von einem Ihrer Kolleginnen oder Kollegen entgegenzunehmen.
Cornelia Schwarz: Mir wäre es noch wichtig, Ihre Position zu den ausgebliebenen Corona-Sonderprämien für ZFAs zu erfahren.
Florian Wahl: Meiner ganz persönlichen Meinung nach hätte man diesen Kreis weiterziehen müssen. Die Pandemie hat uns gesamtgesellschaftlich so viele Mittel gekostet, sodass es fast kleinlich erscheint, diesen Kreis zu eng zu ziehen. Deswegen fände ich auch, dass es sowohl für die ZFA, aber auch für die MFAs absolut möglich sein sollte, Prämien zu bewilligen. Ich halte das für angemessen, wenn man betrachtet, welchen Belastungen diese Personengruppe im gesamten Gesundheitsbereich ausgesetzt waren.
Cornelia Schwarz: Stichwort Prävention bei Kindern. Hier hat unser Präsident Dr. Torsten Tomppert beim Tag der Zahngesundheit 2021 den Vorstoß gemacht, verbindlich im Kinderschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg zu verankern, dass in den Kindergärten, Kitas und Grundschulen in Baden-Württemberg täglich mit fluoridierter Zahnpasta geputzt wird. Wie stehen Sie dazu? Könnten Sie sich vorstellen, so etwas zu unterstützen?
Florian Wahl: Klar, absolut unterstütze ich die Zahnärzteschaft an dieser Stelle, gar keine Frage. Ich finde, das Land sollte hier unbedingt aktiv werden. Hier haben Sie unsere volle Unterstützung. Wenn ich etwas in diese Richtung – auch als Ausschussvorsitzender – beschleunigen kann, lassen Sie es mich wissen. Ich bin da dabei. Das ist eine gute Sache.
Cornelia Schwarz: Wenden wir uns den investorengeführten Versorgungszentren zu. Inwieweit hat die Politik der SPD Interesse daran, dass sich diese Entwicklung nicht fortsetzt?
Florian Wahl: Begrenzung dort, wo es möglich ist, keine Frage. Sollten wir aus Ihrer Sicht hier nochmals aktiv werden, dann bitte ich um Rückmeldung. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich das Thema etwas abgeflacht hatte. Sollte es Regelungsbedarf auf Landesebene geben, dann bitte ich um Rückmeldung. Gerne und jederzeit.
Cornelia Schwarz: Ganz anderes Thema: Was erhofft sich die Regierung für die Integration des Landesgesundheitsamts im Sozialministerium?
Florian Wahl: Ich halte diese Entscheidung für falsch. Meiner Meinung nach sollte das Landesgesundheitsamt eine unabhängige Expertenrolle ein bisschen vergleichbar mit dem Robert-Koch-Institut haben. Mit der Überführung des Landesgesundheitsamts in eine weisungsgebundene Abteilung des Sozialministeriums, schaffe ich jegliche Unabhängigkeit de facto ab.
Cornelia Schwarz: Sollte Corona irgendwann zur Ruhe kommen, womit werden sich die Mitarbeiter*innen des ÖGD beschäftigen?
Florian Wahl: Grundsätzlich glaube ich, dass der öffentliche Gesundheitsdienst in Baden-Württemberg neu aufgestellt werden sollte. Er müsste mehr zu einer Gesundheitsagentur werden, die eine gewisse gesellschaftliche Barrierefreiheit hat, damit Leute dort einfach reinmarschieren können, um ihre Belange vorzubringen. Woher kennen die Menschen denn heutzutage noch das Gesundheitsamt? Einige kennen es, weil sie dort hingehen, um einen AIDS-Test machen zu lassen, andere von der Prostitutionsberatung oder einzelne von Tuberkulose-Untersuchungen. Mit einem präventiven Ansatz der Gesundheitsförderung, den man seit Jahren anvisiert, hat das hingegen noch zu wenig zu tun. Dafür brauchen wir einen Modernisierungsschub und da ist es mit der Digitalisierung nicht getan, sondern es braucht auch eine verstärkte Dienstleistungskultur.
Cornelia Schwarz: Stichwort Entbürokratisierung. Die Zahnärzteschaft wurde zum Impfen zugelassen. Der Weg dorthin ist jedoch weit und mit bürokratischen Vorgaben gepflastert. Welche Möglichkeiten sehen Sie für einen Abbau von Bürokratie bei Themen, bei denen „es mal schneller gehen muss“?
Florian Wahl: Wir haben ja einen Normenkontrollratssitzung auf Landesebene. Natürlich finde ich es phantastisch, dass sich die Verantwortlichen vier Jahre lang mit der Entbürokratisierung von z.B. Vereinen auseinandergesetzt haben. Nichts dagegen zu sagen, aber ich glaube, man sollte sich nochmals verstärkt auf den Schwerpunkt des Gesundheitsbereichs konzentrieren. Dann kommen wir hoffentlich voran. Leider wurden seit 2016 die ersten 6 Jahren für eine Entbürokratisierung im Gesundheitswesen verpasst.