Das Dialoggespräch mit Dr. Michael Preusch MdL (CDU)
Für Dr. Michael Preusch, Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, ist der Genossenschaftsverband ein möglicher Baustein in Richtung Sicherstellung der flächendeckenden ärztlichen Versorgung. Darüber und auch über eine mögliche Implementierung des täglichen Zähneputzens mit fluoridhaltiger Zahnpasta in Kitas tauschten wir uns aus.
Cornelia Schwarz: Uns würde interessieren Herr Dr. Preusch, wofür Sie in der Gesundheitspolitik stehen und welche Ziele Sie vor allem mit Ihrem Engagement verbinden?
Dr. Michael Preusch: Es gibt ein paar Punkte die ich, bevor ich in den Landtag gewählt worden bin, schon auf Kreisebene und in meinen politischen und berufspolitischen Funktionen thematisiert habe. Das eine ist natürlich das Thema ärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Das betrifft die hausärztliche, also die Basisversorgung, aber auch die fachärztliche Versorgung und natürlich, wenngleich der Druck dort weniger stark ist, gehört auch die zahnärztliche Versorgung mit dazu. Eng damit verbunden sind Strukturdebatten zur ambulanten und stationären Versorgung, ebenso wie die pflegerische Versorgung. Dafür wurde beispielsweise die Idee der so genannten Landarztquote durch die CDU in der vergangenen Legislatur umgesetzt. Konkret werden 75 zusätzliche Studienplätze vom Land Baden-Württemberg finanziert und die Studierenden verpflichten sich, später als Arzt im ländlichen Raum tätig zu werden. In der ersten Ausschreibungsrunde gab es deutlich mehr Bewerber als Plätze. Gute Sache, aber man muss bedenken, dass es etwa acht Jahre dauert, bis ein Studierender, der heute beginnt, mit seinem Studium fertig und „einsatzbereit“ ist. Das heißt wir müssen darüber hinaus Strukturen schaffen, die frühzeitiger greifen. Konkret müssen wir für die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen Arbeitszeitmodelle mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Hier bietet sich unter anderem das Modell eines MVZ an in dem die Ärztin oder der Arzt in (Teilzeit)-Anstellung tätig ist. Wir haben bereits einige MVZ im Lande sehr erfolgreich laufen. Ich bin der Meinung, dass dieses Konzept besser publik gemacht, bzw. die Beratung zum Thema gefördert werden muss. Die Struktur von Förderung, Erstellung und zum Betreiben eines MVZs muss klar geregelt sein. Es gibt natürlich Regionen, in denen sich die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gerne an einem MVZ beteiligen, aber die Organisation nicht stemmen wollen. In diesen Fällen sehe ich auch die Kommunen als möglichen Akteur. Vor diesem Hintergrund habe ich ein Gespräch mit dem baden-württembergischen Genossenschaftsverband der sich dem Thema Praxisgemeinschaft, MVZ etc. bereits widmet, geführt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir ist es lieber, die Gemeinde oder Kommune hat dieses MVZ in der Hand als irgendein privater Großinvestor, auf den wir keinen Zugriff haben. Hier gibt es glücklicherweise bereits klare rechtliche Regelungen. Wenn es um die Niederlassung geht, haben Kommunen und kommunale Träger kein Mitspracherecht. Das regelt die KV. Ich bekomme als Abgeordneter dann ab und an die Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger, dass Termine erst in fünf Monaten vergeben werden, weil die Versorgungsstrukturen nicht neu überdacht werden. Ich halte das Einbinden der Kommunen in der Struktur- und Niederlassungsplanung für eine begründete Forderung und bin der Meinung, dass Lösungen selbstverständlich im Einklang mit allen Akteuren umgesetzt werden können.
Cornelia Schwarz: Aber wäre es nicht besser, wenn die MVZ durch die Ärzteschaft selbst gestemmt werden würden?
Dr. Michael Preusch: Das wäre die ideale Konstellation. Leider ist das Interesse in den strukturschwachen Regionen nicht so groß, dass dieses Modell zum Selbstläufer wird. Viele Ärztinnen und Ärzte wollen ihre Patienten behandeln, aber mit der Verwaltung und Organisation eines MVZ wenig zu tun haben. Deshalb benötigen wir strukturelle Angebote, die bedarfsgerecht adaptiert vor Ort ausgerollt werden können.
Dr. Torsten Tomppert: Sie haben ja gerade den Ball ohne Netz gespielt, halb hoch, daher brauche ihn nur noch direkt verwandeln. Ich gehe gar nicht auf die flächendeckende Versorgung, das ist Thema von der Frau Doktor Maier, aber ich gehe gerne auf den Punkt der freiberuflichen selbstständigen Niederlassungen ein. Sie haben genau den Punkt getroffen. Wir als Körperschaften fördern das und auch die Niederlassungen. Die große Problematik dabei ist genau die, die Sie ansprechen. Die jungen Leute gehen heute viel schneller in die Niederlassungen als früher. Die Gründe, die sie abhalten sind das finanzielle Risiko, das im Gegenbereich nicht mehr durch adäquate Honorierung abgedeckt ist. Und die überbordende Bürokratie – das große Schlagwort neben der Digitalisierung, im Moment auch auf Bundesebene. Und genau das ist der springende Punkt, denn sie sagen das, was Sie eben auch erwähnten: Ich will behandeln! Und die Entwicklung, die ich auch in meiner Praxis sehe, die ich gemeinsam mit meiner Frau führe, ist genau diese Thematik. Die Gewichtung zwischen Bürokratie und Behandlung hat sich dramatisch verändert. Auch das Thema Prüfbürokratie, die wir im Land haben und die uns sehr belastet, wie beispielsweise die nicht anlassbezogen Praxisbegehungen.
Zum Thema Genossenschaftsverband möchte ich anmerken, dass dies natürlich einem freien Markt widerspricht. Wenn es beispielsweise ein MVZ mit einer vollumfänglichen zahnärztlichen Versorgung in der Region gibt, in dem von Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie über Kieferorthopäde alles abgedeckt ist, wird sich ein freiberuflich Selbstständiger natürlich dreimal überlegen, ob er sich an diesem Ort noch niederlässt. In diesem Zusammenhang kenne ich auch einen Fall in Österreich, wo ein Arzt in Räumlichkeiten einer Kommune sitzt, und eine minimale Miete bezahlt. Wenn der einen neuen Teppichboden für seine Praxis braucht, bringt er diese Anfrage in den Gemeinderat. Das Gleiche gilt für ein neues Röntgengerät. Und dann nicken die ab. Also die Kommune entscheidet dort, das ist ein ganz anderes System. Und das funktioniert natürlich, wenn die Kommunen da ein gewisses Wettrennen haben: Wer bietet die besseren Voraussetzungen.
Dr. Michael Preusch: Viele Kommunen sind sehr bemüht die pflegerische und ärztliche Versorgung vor Ort sicherzustellen. Sie tun dies unter anderem durch das zur Verfügung stellen von mietfreien Praxisräumen etc. Ich finde dieses Engagement wichtig und richtig und hoffe natürlich, dass es viele Kolleginnen und Kollegen motiviert in die Niederlassung zu gehen. Ich darf nochmals klarstellen, dass bestehenden und bewährte Strukturen nicht geändert werden müssen. Es ist aber unsere Pflicht Konzepte für die Regionen zu entwickeln die der freie Markt eben nicht erreicht oder nicht mehr erreichen möchte. Hier hat die Politik eine Art konzeptionelle Garantenstellung.
Was mir da noch wichtig war, Frau Schwarz, ist das Thema: Öffentlicher Gesundheitsdienst. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir den sträflich vernachlässigt haben. Wir haben seine Kompetenzen in der Zeit vor der Pandemie schlicht und ergreifend nicht in dem Masse gebraucht wie wir es aktuell tun. Ich bin mir aber sicher, dass bestimmte Strukturen im ÖGD weiterentwickelt werden müssen. Hierzu gehören Pandemiekonzepte ebenso, wie Support beim Thema Volks- oder auch Zahngesundheit. Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, die mit Unterstützung der Digitalisierung weiter ausgebaut werden müssen. Dass wir Infektionsverläufe mathematisch darstellen können, ist ein gutes Beispiel. Diese Möglichkeiten sind keine theoretische Wissenschaft, sondern bereits Praxis. Eine solche Infektionserfassung und -modellierung muss im öffentlichen Gesundheitsdienst beheimatet sein. Hätten wir diese Strukturen bereits vor Jahren etabliert, wäre und einiges erspart geblieben.
Dr. Ute Maier: Zu dem Genossenschaftsmodell: Wir sehen, dass es hierzu inzwischen einige Aktivitäten, auch im Bereich der Zahnmedizin, gibt. Obwohl ich eigentlich immer noch überzeugt bin, dass wir die Versorgung sehr gut im Griff haben. Aber man hat es ja an Ihren Äußerungen schon gemerkt, dass wir darauf achten müssen, alle Beteiligten unter einen Hut zu bekommen. Hier ist es sicherlich aus Sicht der Kommunen ein Problem, dass sie bislang früher wenig Einfluss auf die Bedarfsplanung hatten. Wobei sie inzwischen, im zahnärztlichen Bereich bei der Bedarfsplanung beratend mit dabei sind.
Dr. Michael Preusch: Das Thema Genossenschaft muss definitiv keine Blaupause sein, die man landesweit in einem bestimmten Modell umsetzt. Wenn es eine Struktur vor Ort gibt, in der die Versorgung nicht durch die Mediziner selbst gestemmt werden kann, die Kommune einen Handlungsbedarf sieht und eine Unterversorgung existiert, dann könnte das Modell einer Genossenschaft eines sein, um die Attraktivität für Ärztinnen und Ärzte zu steigern. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen hatten wir das Thema Landeskrankenhaus-Plan diskutiert. Am Ende werden die Diskussionen vor Ort nicht immer fachlich, sondern eher emotional geführt. Das sehen Sie auch heute an einigen Standorten. Ich glaube, wir brauchen Strukturgespräche vor Ort. Ich will keinen Einheits-Plan von Mannheim bis Konstanz. Dafür sind die Gegebenheiten zu unterschiedlich. Über die von mir vorab erwähnten Strukturgespräche sollen regionale Lösungen der medizinischen und pflegerischen Versorgung entwickelt werden. In diese Betrachtung fließen stationäre und ambulante Versorgung sektorenübergreifend mit ein. Wir haben das im Landkreis Heilbronn gemacht, indem wir zwei Krankenhäuser geschlossen, aber zwei medizinische Versorgungszentren etabliert haben. Wie gesagt, es gibt keine Blaupause, die für das ganze Land gilt, aber wir müssen in die Strukturgespräche gehen um mit den Bürgermeistern, Landräten und den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren wie eine medizinische Versorgung der Zukunft heimatnah aussieht.
Cornelia Schwarz: Ein umfassendes Thema, genauso wie die Corona Verordnung. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit und betrachten die, in diesem Zusammenhang leider oftmals kritisierte und auch ausgebliebene Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Warum hat es nicht geklappt oder konnte es nicht klappen? Wie sehen Sie es?
Dr. Michael Preusch: Tatsächlich ist es ein Problem, dass wir uns, man muss ja fast sagen tagesaktuell, mit neuen Situationen auseinandersetzen mussten. Unter der Delta-Variante hat unser Stufenschema gar nicht so schlecht funktioniert. Dann kam Omikron und vieles musste angepasst werden.
Als die Pandemie begann, haben wir uns in einem Krisenstab hier im Rhein-Neckar-Kreis täglich getroffen. Ich war damals durch meinen Arbeitgeber, dem Universitätsklinikum Heidelberg, in dieses Gremium berufen worden. Damals waren keine Masken verfügbar, es musste vieles organisiert werden ohne zu wissen wie sich die Situation und die Verfügbarkeit am Folgetag darstellen. Im Rahmen meines Wahlkampfes zur Landtagskandidatur besuchte ich einige Schulen bei mir im Wahlkreis und verstand unter anderem die Schwierigkeit, wenn Freitagabend die neue Verordnung veröffentlicht wurde und diese Montagfrüh umgesetzt werden sollte. Da konnte ich die Kritik der Rektoren schon sehr gut verstehen. Ein Hauptproblem in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen, aber auch den Praxen, war das kurze Zeitintervall von Erhalt der Informationen bis zu deren Umsetzung im Arbeitsalltag. Auch für einen Politiker der sich intensiv mit Pandemie beschäftigt wird es zunehmend schwerer den Überblick über die Regelungen und Verordnungen zu behalten. Dennoch hätten sich gewisse Dinge sicher vorausschauender planen und im Verlauf anpassen lassen. Klar ist, dass wir uns alle eine gewisse Weitsicht in der Planung der bei den Maßnahmen gewünscht hätten, aber man berücksichtigen muss, dass diese Schwierigkeit in der Dynamik der Entwicklung der Pandemie begründet ist. Waren wir zu Beginn entspannt, wenn die Inzidenzen erstmal rückläufig waren, stellten wir im Verlauf fest, dass die Sieben-Tage Inzidenz vermutlich nicht mehr der geeignete Parameter ist und wir ein anderes Messinstrument brauchen. Wir hatten uns dann auf die Hospitalisierungsrate verständigt.
Cornelia Schwarz: Die Pandemie hat das Vertrauen vieler Menschen in alle Parteien erschüttert. Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen sagte hierzu: Der Kampf gegen das Virus sei „das größte Parallelexperiment im vergleichenden Regieren, das es jemals gab“. Wie finden Sie hat Baden-Württemberg bei diesem „Experiment“ abgeschnitten?
Dr. Michael Preusch: Das kann man vielleicht als die negativen Auswüchse des Föderalismus interpretieren und für manchen bot sich die Chance der schnellen Schlagzeile. Schlussendlich und bei allen Schwierigkeiten, die das föderale System mit sich bringt, beneidet man uns weltweit um die geringe coronabedingte Mortalität, insbesondere wenn man sich auf die Bevölkerungsdichte etc. bezieht. In dieser Rechnung spielt natürlich auch die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems eine wesentliche Rolle. Wir müssen aus unseren Erkenntnissen lernen. Die Frage welche Maßnahmen neben der Impfung tatsächlich effektiv waren und sind müssen beantwortet werden. Hierzu haben wir im Koalitionsvertrag die Einrichtung einer Enquete-Kommission „Krisenfeste Gesellschaft“ beschlossen die noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen wird. Ich freue mich Teil dieser Kommission zu sein.
Cornelia Schwarz: 2021 sollte das Impfjahr werden – was wird 2022 Ihrer Ansicht nach Herr Dr. Preusch?
Dr. Michael Preusch: Darauf kann ich ganz nüchtern sagen, dass es noch einmal ein Impfjahr werden wird (lacht). Alternativ bleibt aktuell nur die Infektion mit Omikron. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Monaten mit keiner pathogeneren Virusvariante konfrontiert werden. Wir müssen beim Impfen weiter aktiv bleiben, insbesondere in den Risikogruppen. Hier beginnt übrigens auch die politische Diskussion um das zentrale Impfregister. Über ein solches Register könnten erwähnte Risikogruppen rechtzeitig über neue Impfempfehlungen informiert werden. Weiter müssen wir dauerhafte Strukturen schaffen die uns im Bedarfsfalle ermöglichen schnell und effektiv viele Menschen zu impfen. Wir müssen weg vom Impfstützpunkt in der Sporthalle hin zu einem dauerhaften Konzept unter Einbeziehung der bekannten Strukturen der ärztlichen Versorgung kommen.
Cornelia Schwarz: Damit hätten wir das Thema meiner nächsten Frage schon angesprochen: Die Impflicht. In einer Plenarsitzung im Landtag kurz vor Weihnachten sagten Sie, die Impfpflicht sei einer der letzten Pfeile im Köcher der Pandemiebekämpfung. Was sagen Sie heute zum Thema allgemeine Impfpflicht?
Dr. Michael Preusch: Unter Berücksichtigung von Omikron ist meines Erachtens eine allgemeine Impfpflicht nicht mehr gerechtfertigt. Die Verhältnismäßigkeit ist nicht da. Ich weiß, das will nicht jeder hören, weder Teile der eigenen Partei noch der Regierung. Wir haben eine Pandemie, das ist ein dynamischer Prozess und es ist durchaus eine Stärke, dass wir politisch immer wieder neu bewerten, wenn neuere Erkenntnisse vorliegen. Hätten wir die allgemeine Impfpflicht Mitte letzten Jahres unter Delta gehabt, wären uns einige Tote erspart geblieben. Aber, und das ist mein wesentlicher Punkt: Wir müssen uns Gedanken machen, unter welchen rechtlichen Bedingungen eine Impfpflicht eingeführt werden kann. Wir wissen noch nicht wie sich der Herbst, Winter oder das kommende Jahr aus Sicht der Pandemie entwickelt. Wie reagieren wir, wenn sich ein deutlich pathogenerer Stamm entwickelt oder ein neuer Erreger aufkommt, der uns zur Impfpflicht zwingt? Wir benötigen in unserem Werkzeugkoffer der viele Dinge und dazu gehört auch das Tool einer Impfpflicht. Die Diskussion darf dann nicht wieder so spät und so verquer aufkommen, wie sie in den letzten Monaten geführt wird. Es muss klar sein, ob wir eine allgemeine Impfpflicht rechtlich umsetzen können, wenn diese medizinisch geboten ist. Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, wie sie derzeit umgesetzt wird, hatte ich im Einklang mit vielen medizinischen Fachgesellschaften nie unterstützt. Darüber hinaus sind die Gesundheitsämter, Kliniken, Pflegeheime und Arztpraxen mit der Umsetzung bis dato durch den Gesetzgeber nicht adäquat vorbereitet.
Dr. Torsten Tomppert: Man merkt, dass Sie Mediziner sind. Das macht das Ganze natürlich viel erfrischender für mich. Eine Impfpflicht sehe ich als sehr schwierig an, nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch in der Umsetzung. Aktuell kocht das Thema durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht hoch, denn diese stellt doch viele Praxen vor gewisse Probleme. Wenn eine Praxis zehn Angestellte hat und davon sind fünf nicht geimpft, kommt die Praxis natürlich ins Trudeln. Also, ich konnte zum Glück alle meine Mitarbeiterinnen überzeugen, auch wenn es bei zweien nicht ganz einfach war. Die letzte, die sich geimpft hat, kam stolz zurück und hat sagte „Chef, ich habe es jetzt doch getan, ich habe Johnson und Johnson genommen“. Und das wirft uns jetzt natürlich vor ein Riesenproblem. Als ich ihr sagen musste, sie brauche eine weitere Impfung und den Booster. Das sind die Probleme unseres Alltags. Zudem ist sie meine beste Prophylaxe Kraft, die macht von morgens bis abends Prophylaxe, ist tierisch gut und bei den Patienten hoch angesehen. Also, soviel zum Bericht aus dem Leben. Aber es freut mich, dass Sie das Thema allgemeine und sektorale Impfpflicht in der derzeitigen Omikron Phase hinterfragen.
Dr. Ute Maier: Auch hier sind die relativ kurzfristigen Ankündigungen das Problem, egal ob es um die Corona-Verordnung, oder um das Impfen geht. Dadurch, dass die Politik ihre Entscheidungen sehr kurzfristig kommuniziert, verliert man die Verlässlichkeit und auch das Vertrauen. Genau das ist das Problem, wieso inzwischen so viele Personen unwillig werden. Man kann die neuen Verordnungen mit allen ihren Auswirkungen gar nicht so schnell erfassen, bevor es schon wieder eine neue gibt. Ein Beispiel: regelmäßig werden wir mit Fragen seitens der Zahnärzteschaft konfrontiert, die wissen wollen, wann sie vollständig geimpft sind. Ich dachte, dies sei ja eine recht einfache Frage und die Antwort klar, bis ich dann beim RKI auf viele schöne Übersichten stieß, die aufzeigten bei welchem Impfstoff was, wann und wie gültig ist und wann wieder aufgefrischt werden muss. Das kann ein normaler Bürger, eine normale Bürgerin nicht mehr erfassen. Dadurch wird die Politik nicht mehr nachvollziehbar. Deshalb eine Bitte von unserer Seite, an Sie als Vertreter der mitregierenden Partei: geben Sie den Menschen die Gelegenheit Dinge zu verstehen und die Zeit diese auch umzusetzen. Ein weiteres Beispiel ist die derzeitige Diskussion um die PCR-Tests nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen, weil es aktuell davon zu wenig gibt. Das ist zwar eine Angelegenheit der Bundesebene, aber lassen Sie es mich dennoch ansprechen. Und dann schaut man in andere europäische Länder und fragt sich, warum es dort funktioniert und bei uns schiefläuft.
Dr. Michael Preusch: Manchmal fehlt es meines Erachtens schlichtweg auch an kompetenten Ideen. Die Diskussion um die Verfügbarkeit von PCR-Testungen kenne ich. Teil des Problems war sicherlich auch die Folgetestung und Sequenzierung zur Beurteilung der Variante. Diese Testung macht bis auf wenige Fälle im Sinne eines Monitorings bei 100% Omikron seit einigen Wochen keinen Sinn mehr. Ich bin froh, dass diesem Gedanken Rechnung getragen wurde und derzeit wieder mehr Kapazitäten zur Verfügung stehen. Ferner macht es Sinn und dazu gibt es bereits konkrete Überlegungen, den PCR-Test nicht mehr bei allen im Schnelltest positiv Getesteten einzufordern. Manchmal sind es die kleinen Dinge, an die man denken muss.
Cornelia Schwarz: Die Frage zur allgemeinen Impfpflicht ist für viele Zahnärzte*innen im Land relevant, denn aufgrund der Impfpflicht für Gesundheitsberufe befürchten sie eine Abwanderung ungeimpfter Angestellter in andere Berufe. Wie kann die Politik gegensteuern – auch mit Blick auf die flächendeckende medizinische Versorgung die hierdurch gefährdet werden könnte?
Dr. Michael Preusch: Hier handelt es sich ja leider um eine Bundesregelung. Ich hatte bereits erwähnt, dass ich von einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht nichts halte. Hier besteht tatsächlich das von Ihnen erwähnte Risiko der Abwanderung von Angestellten, vielleicht auch zunächst einmal nur in benachbarte Bundesländer, die diese Pflicht anders umsetzen wollen. Die finale Entscheidung obliegt der Einschätzung des jeweiligen Gesundheitsamtes. Wir werden hier erneut einen Flickenteppich in den einzelnen Stadt- und Landkreisen und wohl auch den Bundesländern erleben.
Dr. Torsten Tomppert: Verschiedene Lösungen in verschiedenen Landkreisen ist natürlich der Albtraum schlechthin, da bin ich vollkommen bei Ihnen. Eine gemeinsame Handlungsanweisung wäre eine super Geschichte
Cornelia Schwarz: Stichwort Corona-Sonderprämie, die nicht erfolgt ist für die MFA und ZFA. Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung?
Dr. Michael Preusch: Grundsätzlich haben viele medizinische und pflegerische Berufe in unterschiedlichem Maße unter Corona gelitten. Für die Intensivpflegekräfte sind Prämien von Bund und Land bezahlt worden. Die Frage wer diese bekommt und wer nicht hat in den Kliniken für erhebliche Diskussionen gesorgt. Ich habe das als Personalrat hautnah mitbekommen. In der Diskussion waren damals auch die Rettungsdienste, denen in der Regel völlig unbekannt ist, ob ein Notfallpatient positiv ist oder nicht. Sie hatten in Notfallsituationen oft keine adäquate Möglichkeit des Schutzes, trotzdem gab es für sie keine Prämie. Vor dem Hintergrund der hohen Kosten, die Corona mittlerweile erzeugt hat, bin ich der Meinung, dass jeder sein Päckchen tragen muss. Als einer der seit Beginn der Pandemie für einen großen Intensivbereich verantwortlich war zweifle ich an der Rechtmäßigkeit der Prämie für die Intensivpflegekräfte nicht. Es ist Fakt, dass nicht jede Berufsgruppe gleich nahe am Geschehen der Pandemie dran war und ist. Leider sehe ich hier im Moment aus finanziellen Aspekten keine Möglichkeit, aus öffentlicher Hand eine Prämie für weitere Berufsgruppen locker zu machen. Von der letzten Prämie sind die Ärztinnen und Ärzte übrigens ausgenommen. Ich glaube auch, dass sich dann viele Menschen qualifizieren würden. Und das wären Kosten, die im Moment einfach nicht zu tragen sind. Auch wenn mir die Wertschätzung weiterer Berufsgruppen wichtig ist.
Dr. Torsten Tomppert: Ich sage das auch und deswegen würde ich an dieser Stelle gerne die Karte GOZ-Erhöhung spielen. Gerne würde ich meine Mitarbeiterinnen adäquat bezahlen und da tun wir uns heute schon schwer, vor allem, wenn ich die Azubi-Gehälter aus der Industrie sehe, mit denen wir konkurrieren. Also, ich würde da lieber die GOZ-Variante wählen und meine Leute direkt besser bezahlen.
Cornelia Schwarz: Wir hatten es vorhin ja bereits von den medizinischen Versorgungszentren und Ihr Ansatz mit der eingebundenen Kommune, ist sicher ein sehr interessanter. Wir hingegen sehen hier die Schwierigkeit der fachfremden Investoren. Inwieweit hat die Politik hier Interessen, dass sich diese Entwicklung nicht fortsetzt?
Dr. Michael Preusch: Für die Politik muss das oberste Ziel die Versorgungssicherheit sein. Hier kann die Unterstützung durch fachfremde Investoren durchaus sinnvoll sein. Wenn gewisse Bevölkerungsgruppen allerdings von der Versorgung abgehängt werden, weil sie nicht mehr lukrativ ist, dann ist dies nicht hinnehmbar! Es ist keine Entscheidung eines Investors, wer behandelt wird und wer nicht, und für wen das MVZ geöffnet wird und für wen nicht. Aus diesem Grunde sind die von mir eingangs erwähnten Regelungen wichtig.
Cornelia Schwarz: Wir hatten es ja bereits beim CDU-Landesparteitag in Mannheim kurz von der Prävention bei Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg. Unterstützen Sie den Gedanken das tägliche Zähneputzen mit fluoridierter Zahnpasta in Kindergärten Kitas und Grundschulen verbindlich im Kinderschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg zu verankern?
Dr. Michael Preusch: Als Kardiologe weiß ich um den Zusammenhang von Zahnstatus und kardiovaskulären Erkrankungen. Bezüglich des Zähneputzens in Kindergärten, Kitas und Schulen haben Sie meine volle Unterstützung. Vielleicht ließe sich an der Umsetzung noch das ein oder andere optimieren. Hier könnte der öffentliche Gesundheitsdienst noch aktiver mit eingebunden werden.
Dr. Torsten Tomppert: Es wäre sehr schön, wenn man es im Kinderschutzgesetz Baden-Württemberg unterbringen könnte. In Schleswig-Holstein ist das bereits gelungen, in Mecklenburg-Vorpommern in Ansätzen. Dort machen die Schulen einen Ernährungstag pro Woche, weil sie sagen, das Zähneputzen ist uns zu anstrengend und umgehen es, weil es das Gesetz zulässt. In anderen Projekten mit der Landesarbeitsgemeinschaft Zahngesundheit in Baden-Württemberg mit ihren regionalen Arbeitsgemeinschaften, arbeiten wir bereits mit den Zahnärzten des ÖGD zusammen. Dort sind 40 ÖGD-Zahnärzte plus 1.200 Patenzahnärzte, also Niedergelassene, in Besuche von Kitas und Schulen involviert. Da gibt es verschiedene Statistiken und deswegen sind wir Weltmeister, was den DMFT Index, also die Zahngesundheit in Baden-Württemberg angeht. Also, dieses Projekt läuft ganz hervorragend. Aber das verpflichtende Zähneputzen wäre sicher sinnvoll. Und da werbe ich auch um Unterstützung.
Dr. Michael Preusch: Ich war von Anfang an sehr angetan von der Idee. Unabhängig vom Thema ist es natürlich immer eine Frage, ob etwas tatsächlich in einem Gesetz geregelt werden muss oder sich anderweitig regeln lassen kann. Seit ich im Landtag bin werde ich ständig mit neuen Regelungen konfrontiert und hatte mir eigentlich vorgenommen den Abbau der Bürokratie voranzutreiben. Daher widerspricht eine gesetzliche Regelung meinem Subsidiaritätsprinzip, aber ich sehe den Grund Ihres Anliegens und unterstütze diese Idee gerne.
Dr. Torsten Tomppert: Da bin ich bei Ihnen Herr Preusch. Das Problem ist nur, dass die Verantwortlichen, sei es in den Kitas oder den Schulen, den Arbeitsgemeinschaften den Zugang verwehren können, wenn es keine gesetzliche Unterfütterung gibt. Wenn wir das alles freiwillig erreichen könnten, wäre das auch für mich schöner. Aber die Erfahrung lehrt uns leider etwas anderes.
Cornelia Schwarz: Widmen wir uns noch dem Thema der Integration des Landesgesundheitsamtes ins Sozialministerium. Da würde uns Ihre Sicht interessieren.
Dr. Michael Preusch: Ich muss zugeben, dass ich überrascht war, als das Thema im Rahmen einer Kabinettsvorlage präsentiert wurde. Ich hätte mir die bisherige Struktur des Landesgesundheitsamt auch durchaus weiterhin vorstellen können und erkenne aktuell noch keinen „Mehrwert“ der neuen Regelung.
Dr. Torsten Tomppert: Die Frage ist, was all diese ÖGDler machen, denn die müssen ja irgendwie beschäftigt werden. Da haben wir teilweise ein bisschen Bauchweh. Werden die bei Kindern in der Prävention eingesetzt, dann ist das wunderbar. Wenn sie sich aber noch intensiver um eine Praxis, Stichwort Prüfbürokratie, kümmern, sind wir, glaube ich, nicht ganz so begeistert.
Cornelia Schwarz: Gibt es denn diesbezüglich Pläne, wie die Mitarbeiter des ÖGD beschäftigt werden, wenn Corona sie nicht mehr vollumfänglich beschäftigen wird?
Dr. Michael Preusch: Bis jetzt nach meinem Wissen noch nicht, leider. Selbstverständlich muss die Aufrüstung des ÖGD im Verlauf sinnvoll kanalisiert und flexibilisiert werden. Ich bin mir sicher, dass das gesamte Personalkonstrukt auch aus einigen KW-Stellen, künftig wegfallend, besteht.
Cornelia Schwarz: Zum Schluss geht es noch um die Bürokratie, die immer und überall zu bewältigen ist. Welche Möglichkeiten sehen Sie, bei Themen, bei denen man nicht so viel Zeit hat, wo man einfach sagt, jetzt kommen wir zügig zu einer Entscheidung. Gibt es da Anhaltspunkte, die Sie konkret in Worte fassen können?
Dr. Michael Preusch: Da ist die große und oft beschworene Hoffnung, dass mit der Digitalisierung alles besser wird. Mittlerweile bin ich mir nicht so sicher, ob all meine Hoffnungen diesbezüglich erfüllt werden. Die beginnende Digitalisierung im Krankenhaus hat nach meiner persönlichen Einschätzung noch zu keiner großen Entlastung geführt. Personell ging diese eher mit einem Stellenaufwuchs einher. Ich hoffe und denke, dass sich die technischen Entwicklungen im Laufe der Jahre auszahlen werden und wir medizinisch und pflegerisch Tätigen eine echte Entlastung spüren. Sie sprechen einen weiteren wichtigen Punkt an: Kein Politiker kann in jedem Fachbereich ein Experte sein. Wir sind auf unsere Kolleginnen und Kollegen, Berater und weiteres Fachpersonal als Basis unserer Entscheidungen angewiesen. Es entbindet mich aber nicht von meiner Pflicht, mich in die wesentlichen Themen einzuarbeiten.
Dr. Ute Maier: Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Sie kennen es als Arzt, wir kennen es in den Zahnarztpraxen auch: die Telematik sollte dazu beitragen, dass die Wege kürzer werden und man dadurch letztendlich auch Erleichterungen hat. Aber ich glaube, es ist in den Arztpraxen nicht anders als in den Zahnarztpraxen: Letztendlich kämpfen die Kolleginnen und Kollegen mit der geforderten überbordenden Dokumentation und mit den Konnektoren. Bis diese endlich reibungslos funktionieren, sind sie schon wieder veraltet und die Praxen müssen sich Gedanken über neue Konnektoren oder Updates machen, weil die Anwendungen, die dann neu implementiert werden, wieder mit den alten gar nicht zu machen sind. Das trägt natürlich letztendlich mit zu einer gewissen Unlust bei, sich niederlassen zu wollen. Insbesondere junge Kolleginnen und Kollegen sagen an diesen Stellen schon von vornherein, dass sie diesen ganzen Verwaltungsaufwand nicht möchten, denn eigentlich wollen sie nur ihren Beruf ausüben, d. h. behandeln. Ältere Kolleginnen und Kollegen hingegen hören früher auf als sie eigentlich wollen, weil ihnen die immer weiter ausufernde Bürokratie auf den Geist geht. Ich denke, hier müssen wir einfach irgendwann mal wieder die Balance finden. Wenn etwas Neues einführt wird, darf es nicht mit Bürokratie, Regelungen, Verwaltungskram überlastet sein.
Gerade haben wir eine neue bundesmantelvertragliche Regelung erhalten. , Wir haben diese nicht versandt, weil sie unkommentiert nicht verständlich war und wir sie einfach nur so nicht herausgeben wollten. Und ich sehe es auch bei Ihnen. Der EBM wird jedes Vierteljahr geändert. Wenn Sie als Zahnarzt oder als KZV dort etwas suchen, weil teilweise unsere Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen auch mit der KV abrechnen und es immer wieder Schnittstellen gibt, sitze ich regelmäßig da und frage mich, wer das alles noch verstehen soll. Ehrlich gesagte: es geht eigentlich nicht. Ich glaube, da müssen wir tatsächlich hier in Deutschland wieder einen Schritt zurückgehen und auch mal etwas ungeregelt lassen.
Manchmal wünschte ich uns mehr Mut, wieder etwas mehr zu wagen, ohne alles regeln zu müssen, das fände ich auch in der Politik klasse.
Dr. Torsten Tomppert: Genau. Die Politik müsste sich über die Abschaffung von Gesetzen definieren und nicht über neue Gesetze und Forderungen. Das ist doch das chinesische Modell: Der Arzt sollte sich nicht über Kranke, sondern über Gesunde definieren. Das wäre eine ganz schöne Geschichte. Aber, und da stimme ich Frau Dr. Maier zu, ein Land, das auf Platz eins die Sicherheit stehen hat und nicht Familie und Erfolg, verdient Bürokratie. Ich glaube, dass es hundertprozentige Sicherheit nicht gibt und erst recht nicht durch Verordnungen und Gesetze.